Positiv bleiben – ohne schlechtes Gewissen!


    Mit spitzer Feder …


    (Bild: zVg)

    Es ist eine unserer menschlichsten Schwächen, dass es zuweilen leicht ist, in uns Begehrlichkeiten zu wecken. Kennen Sie das, liebe Leserinnen und Leser, plötzlich erscheint es uns unumgänglich, etwas haben zu müssen. Dahinter steckt die Vorstellung, dass uns der angestrebte Besitz zufriedener, ja glücklicher machen wird. Und obwohl es meist sogar diese weise, innere Stimme gibt, die uns zuflüstert, dass das nur eine Illusion ist, fällt es doch oft schwer, der Versuchung zu widerstehen – ich jedenfalls arbeite schon lange daran und muss mich selber immer wieder an der Nase nehmen. Und dann kommt mir der römische Philosophen-Kaiser Marc Aurel in den Sinn: «Denk lieber an das, was du hast, als an das, was dir fehlt! Suche von den Dingen, die du hast, die besten aus und bedenke dann, wie eifrig du nach ihnen gesucht haben würdest, wenn du sie nicht hättest!» Uns darauf zu besinnen, was wir haben, bedeutet, es auch wertzuschätzen. Weil es zu uns gehört, weil es uns zur Verfügung steht, weil es dem Hier und Jetzt verbunden ist und nicht mit der vagen Vorstellung einer Zukunft, in der wir uns vielleicht besser fühlen könnten, wenn nur… Und es geht nicht nur um Dinge, um materiellen Besitz. Es geht darum, was wir in unserem Leben haben. Um unsere Familie – egal ob perfekt oder nicht. Es sind Menschen, die uns ein Leben lang begleiten. Natürlich können wir in einem grösseren Haus oder in einer schickeren Wohnung leben. Aber da, wo wir sind, ist unser Zuhause. Und das ist unersetzlich.

    Damit sind wir an einem höchst aktuellen Punkt angelangt. In Zeiten wie diesen mit diesem schrecklichen Krieg in der Ukraine verlieren solche Wünsche und Begehrlichkeiten ihre Relevanz und ihr eigentliches Existenzrecht. Momentan liege ich nachts oft wach und sinniere über das Leben, den Tod, unsere Existenz, den grässlichen Krieg und das immense Leid, über Lebensfreude, ein privilegiertes Leben und ein schlechtes Gewissen. Muss ich mich schämen, wenn ich in diesen Tagen lieber die zauberhaften Bilder meiner kleinen Neffen anschaue, statt den Ukraine-Live-Ticker zu verfolgen und an Solidaritätsdemos zu gehen? Ist es pietätlos, ein Konzert zu besuchen, neue Kleider zu kaufen und schöne Modefotos zu posten? Gesellschaftlich wird zumindest eine Reaktion erwartet. Die Frage ist einfach wie man angemessen reagiert. Das Leid in der Ukraine bewegt mich zu tiefst, macht mich ratlos, ohnmächtig und traurig. Doch ich halte mich an die These der Hedonisten, wonach die Lust die Antriebskraft des Lebens ist und man sich seinem Verlangen – in Massen – hingibt. Denn, wenn sich alles nur noch ums Schwere dreht, fehlt uns die Kraft, jene zu unterstützen, die jetzt Hilfe benötigen. Um uns mit anderen zu solidarisieren und sie unterstützen zu können, ist Mitgefühl nötig, aber kein Mitleid. Der Schock war und ist gross – auch hier in der Schweiz. Dies zeigt die riesige Anteilnahme für die Menschen in der Ukraine. Aber es ist eine Frage des Masses – wie generell immer und überall im Leben. Irgendwann müssen wir uns wieder distanzieren von diesen Emotionen, um nicht in die Angst zu gehen. Denn, wenn man mitleidet und sich nichts Gutes erlaubt, ist das schlecht für unsere Psyche. Denn jede und jeder von uns benötigt positive Emotionen, um Energie zu tanken. Je mehr Negatives wir ansammeln, desto mehr müssen wir dieses kompensieren.

    Aber wie soll man sich ausklingen aus dem Strom an negativen Meldungen, die uns von der ersten Push-Meldung am Morgen über die Dauerberieselung im Live-Ticker bis zur Nachrichtensendung am Abend begleiten. Ich halte mich möglichst fern von diesem toxischen Feld und schaue keine Nachrichtensendungen mehr, dafür konsumiere ich hintergründige Artikel, Sachbücher oder Dokumentarfilme zu aktuellen Themen. So bin ich besser informiert, ohne mich ständig niedergeschlagen zu fühlen. Niemand von uns, die wir nicht direkt vom Konflikt betroffen sind, müssen minütlich über das Kriegsgeschehen informiert sein. Den Menschen in der Ukraine und in anderen Kriegsländern ist damit nicht geholfen. Momentan zeigen uns die Medien einmal mehr nach Corona, was in der Welt alles schiefläuft. Es gibt aber noch eine andere Perspektive: Die Welt ist nicht nur schlecht, sondern es gibt auch viel Erfreuliches auf unserem Planeten. Dazu können wir alle unseren Beitrag leisten, indem wir positiv bleiben – sich und anderen gegenüber – ohne schlechtes Gewissen. Selbst wenn es sich um etwas Oberflächliches handelt wie einen Besuch bei der Kosmetikerin oder beim Coiffeur. Dabei gilt es aber, Marc Aurels tiefe Einsicht im Hinterkopf zu behalten – und uns immer wieder vor Augen zu führen, was es in unserem Leben Wundervolles gibt.

    Herzlichst,
    Ihre Corinne Remund
    Verlagsredaktorin

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