«Der Mittelstand ist unter Druck»

    Die Mitte ist die bürgerliche Partei der politischen Mitte, die soziale Verantwortung übernimmt. Weshalb es eine starke politische Mitte dringender denn je braucht, wie Die Mitte konkret Lösungen ermöglicht, wie sie die Kostenexplosion im Gesundheitswesen stoppen und was sie mit den beiden «Fairness-Initiativen» erreichen will, sagt Mitte-Präsident Gerhard Pfister im Interview.

    (Bild: zVg) Mitte-Präsident Gerhard Pfister will tragfähige Lösungen mit den politischen Partnern ausarbeiten.

    Gerhard Pfister, Die Mitte hat zwei Fairness-Initiativen lanciert. Was wollen Sie damit erreichen?
    Ehepaare werden heute sowohl bei den Steuern als auch bei der AHV anders behandelt als unverheiratete Paare. Ein verfassungswidriger Zustand, das hat das Bundesgericht schon 1984 festgehalten! Diese Ungerechtigkeit wollen wir nun endlich beenden.

    Worin besteht diese Ungerechtigkeit genau?
    Bei der Steuerberechnung wird das Einkommen von Ehepaaren zusammengerechnet. Sie fallen in eine höhere Steuerstufe als Unverheiratete und bezahlen mehr Bundessteuern, obwohl sie das gleiche Einkommen haben. Bei den Renten wiederum bekommen Ehepaare höchstens 150 Prozent des Höchstbetrages, auch wenn beide Ehepartner ein Leben lang voll eingezahlt haben. Das ist nicht fair, das wollen wir ändern und darum sammeln wir aktuell Unterschriften für unsere zwei Initiativen.

    Eine Lösung wäre doch die Individualbesteuerung, wie sie die FDP Frauen fordern.
    Nein. Denn die Individualbesteuerung schafft neue Diskriminierungen. Ehepaare mit sehr unterschiedlichen Einkommen müssten höhere Steuern bezahlen. Wir verlangen mit unserer Initiative faire Steuern unabhängig vom gewählten Lebensmodell.

    Die Mitte hiess bis vor drei Jahren noch CVP. Was war der Grund für den Namenswechsel?
    Die ehemalige CVP verlor in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich Wähleranteile. Unsere politischen Inhalte sprachen zwar viele Menschen an, doch immer wieder wurde uns gesagt, wir seien eine religiöse Partei. Das hinderte viele Menschen daran, uns zu wählen. Das war entscheidend für die Öffnung der Partei.

    Welche Bilanz ziehen Sie kurz vor den Wahlen? War der Namenswechsel ein Erfolg?
    Wir haben in den vergangenen Monaten und Jahren viele Neueintritte verzeichnet, gerade auch bei den Frauen und den Jungen. Und für die nationalen Wahlen treten wir mit mehr als 1100 Kandidierenden an – so viele wie noch nie! Das zeigt die Aufbruchstimmung in unserer Partei. Die Menschen wollen mehr lösungsorientierte Politik. Insofern: Ja, der Namenswechsel ist ein Erfolg.

    Ihrer Partei wird häufig vorgeworfen, sie sei «wischiwaschi» und vertrete keine klaren Positionen.
    Es ist die Rolle einer politischen Zentrumspartei, dass sie tragfähige Lösungen mit den politischen Partnern ausarbeitet. Denn Maximalforderungen haben in unserem Parlament keine Chance. Aber Sie haben recht: Wir wurden bisher oft als thematisch wenig profiliert wahrgenommen. Genau deshalb vertreten wir jetzt vermehrt klare Positionen, beispielsweise bei den Gesundheitskosten, bei der Sicherung unserer Sozialwerke oder indem wir das Portemonnaie des Mittelstandes schützen wollen. Die Wählerinnen und Wähler wollen zu Recht wissen, wofür Die Mitte steht.

    Die Gesundheitskosten sind laut aktuellen Umfragen eine der grössten Sorgen der Menschen in diesem Land. Was tut die Mitte dagegen?
    Als Bundesrat Alain Berset Ende September einen durchschnittlichen Prämienanstieg von 8,7 Prozent bei den Prämien bekannt gab, war das ein Schock. Gerade der Mittelstand und die Familien, welche jetzt schon mit steigenden Strom- und Mietpreisen zu kämpfen haben, leiden unter dem massiven Verlust ihrer Kaufkraft. Mit unserer Kostenbremse-Initiative wollen wir dem ein Ende setzen, indem wir das Kostenwachstum bremsen wollen. Sie bekämpft die Ursache des Prämienanstiegs. Darum soll die Bevölkerung nächstes Jahr über unsere Gesundheitskostenbremse-Initiative abstimmen können.

    (Bild: pixabay) Das ist nicht fair: Heute bezahlen Ehepaare mehr Steuern und bekommen weniger AHV-Rente als unverheiratete Paare.

    Die Gegner warnen vor der Annahme Ihrer Initiative. Sie befürchten einen Leistungsabbau.
    Das ist falsch. Mit der Kostenbremse drohen keine Rationierungen und kein Abbau von Leistungen. Die Schweiz hat eines der besten und modernsten Gesundheitssysteme der Welt. Das soll auch in Zukunft so bleiben. Es wäre schon jetzt möglich, die Kosten im Gesundheitswesen zu senken, ohne dabei die Leistungen oder die Qualität der Gesundheitsversorgung einzuschränken – doch bis jetzt hat der Bundesrat keine Möglichkeit, dies durchzusetzen. Mit der Kostenbremse sollen Bundesrat und Parlament endlich in die Verantwortung genommen werden.

    Das Parlament hat einen Gegenvorschlag zur Kostenbremse-Initiative ausgearbeitet. Doch letzte Woche hat die Mitte bekannt gegeben, dass sie an ihrer Initiative festhält. Warum?
    Der Vorschlag des Parlaments nimmt viele unserer Forderungen auf. Doch am Schluss fehlt die Verbindlichkeit. Der Gegenvorschlag verlangt, dass die Kostenziele im Gesundheitswesen alle vier Jahre überprüft werden müssen. Doch wenn sie nicht eingehalten werden, hat dies keine oder kaum Konsequenzen. Es ist aber zentral, dass der Bundesrat und das Parlament Massnahmen durchsetzen können, auch wenn sich alle Akteure weigern und gegen wirksame Massnahmen lobbyieren.

    Sie erwarten mehr vom Bundesrat und vom Parlament?
    Ja, denn die aktuelle Entwicklung im Gesundheitswesen zeigt: So kann es nicht weitergehen! Mehr als zwei Millionen Menschen in diesem Land beziehen Prämienverbilligung, weil sie die Rechnungen der Krankenkassen nicht mehr bezahlen können. Das ist jede vierte Person! Deshalb muss jetzt endlich eine Lösung gefunden werden, und genau hier setzt unsere Kostenbremse an. Denn steigende Prämien sind die Folge von explodierenden Gesundheitskosten. Darum müssen wir auch bei den Gesundheitskosten ansetzen. Nur wenn wir die Ursache bekämpfen und nicht nur die Symptome, können wir den Mittelstand endlich entlasten. Dieser erhält nämlich in der Regel eher keine Prämienverbilligung.

    Sie betonen immer wieder, dass sich die Mitte für den Zusammenhalt der Schweiz und gegen die Polarisierung einsetze. Doch von Verhältnissen, wie sie in den USA herrschen, sind wir weit entfernt.
    Ja, zum Glück. Doch ich stelle auch in der Schweiz eine zunehmende Spaltung der Gesellschaft fest. Das Voranschreiten der Polarisierung verhindert, dass die für die Zukunft unseres Landes wichtigen Lösungen gelingen. Das schadet der Schweiz. Genau deshalb ist unsere Aufgabe als Mitte-Partei so wichtig. Denn indem wir ausgewogene Lösungen vorschlagen, Debatten sachlich führen und den Konsens suchen, gehen wir die Herausforderungen für unser Land konstruktiv an. Und werden hoffentlich nie auf solche Zustände zusteuern, wie sie aktuell in den USA oder auch anderen Ländern herrschen.

    Dass es in der Schweiz so weit kommt, dürfte dank unserem Mehrparteiensystem recht unwahrscheinlich sein.
    Das politische System der Schweiz mit unserer direkten Demokratie ist tatsächlich weniger anfällig für extreme Schwankungen und Instabilität. Doch wir dürfen uns nicht in einer falschen Sicherheit wiegen: Der Respekt vor dem Gegenüber in der politischen Diskussion schwindet auch bei uns, die Pole verhärten sich, keiner hört dem anderen richtig zu. Das Opfer ist schliesslich die Bevölkerung, deren Probleme die Politikerinnen und Politiker aufnehmen müssten – stattdessen verharren sie in extremen Positionen, verschanzen sich lieber dahinter, statt über den eigenen Schatten zu springen und pragmatische Lösungen zu suchen. Es ist deshalb unsere Aufgabe als Partei der bürgerlichen Mitte, die soziale Verantwortung übernimmt, genau diese Polarisierung zu bekämpfen: Mit einer anständigen Diskussionskultur, mit gangbaren Lösungsvorschlägen und mit Respekt vor jedem Menschen, gerade auch dem andersdenkenden.

    Interview: Corinne Remund


    Was wollen die beiden Fairness-Initiativen?

    Heute bezahlen Ehepaare mehr Steuern und bekommen weniger AHV-Rente als unverheiratete Paare. Diese Diskriminierung will die Mitte mit ihren beiden Initiativen «Für faire Renten» und «Für faire Steuern» beseitigen. Die Unterschriftensammlung läuft noch wenige Monate.

    www.ja-zu-fairness.ch

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